STOFF - medium für stoff
Erinnerungsbilder

Auch August Wallas Adam und Eva beim Eingang zur Landesnervenklinik verblassen langsam, während der Bus von Gugging wegfährt. Was gerade noch sinnlich faßbar war, ist jetzt nur noch eine Spur der Erinnerung, die fast drei Jahre zurückgeht, nach Lausanne in die Collection de l'Art brut, die erste Berührung mit Outsider Art. Sie nahm mich ein, diese so andere Kunst, ließ mich nicht mehr los. Ich stöberte durch Kunstbücher, entdeckte Wölfli und Aloise und stieß schließlich auf Navratils Schriften. Gugging wurde für mich zu einem Begriff, zu einem faszinierenden Ort innerhalb der bildenden Künste, zu einem Ort, der in mir Bilder durch Bilder erweckte. Ich wollte mehr wissen, oder besser, ich wollte erfahren und begann Anfang August dieses Jahres ein dreimonatiges Praktikum im Haus der Künstler. Die Werke nahmen mit einem Mal eine sehr menschliche Dimension an. Was zuvor auf rätselhafte Weise unnahbar war, wurde immer verständlicher. Wenn es langsam eindunkelte und ich den Weg nach Hause antrat, im Wissen, daß es hier in der Nähe einen unerschrockenen Fuchs gibt, rief mir Johann Garber noch von seinem Tisch aus zu, ich solle auf mich aufpassen. Von da an entdeckte ich in seinen verworrenen Bildern ebenfalls ein sehr schützendes Element, indem er jedes Wesen auf dem Blatt, jede Aussage mit Mustern umhüllt, bis es als ganzes in einem sicheren Gleichgewicht ist. Es eröffneten sich plötzlich andere Welten, die Werke weiteten sich. Wo ich von Oswald Tschirtner hauptsächlich die Kopffüßler kannte, stieß ich im Archiv auf Zeichnungen, die sich wie afrikanische Plastik anmuten, oder wie Skizzen eines Kubisten. Wie in einem Rausch habe ich diese Bilder in mir aufgenommen, wo ich glaubte, ein Mythos würde sich bald entblättern, wurde er nur verstärkt. Bei Johann Korec dasselbe: Leidenschaftliche Zeichnungen aus früheren Zeiten, oft auf schlichtem Packpapier gemalt, sprühen über vor Energie und Leben, auch wenn das Motiv ganz alltäglich ist. überhaupt, das Feuer in den Werken. Wer einmal Arnold Schmidt beim Malen zugesehen hat, dem wird der Begriff der Art brut, der rohen Kunst, plötzlich klar. Mit einer schnellen Heftigkeit kreist sich mit einem Mal eine erstaunlich lieb wirkende Figur hervor und das Papier lebt auf vor lauter Intensität, Farben scheinen sich ineinander zu wirbeln... Natürlich ist da nicht nur leidenschaftliche Freude und übersprudelnde Lust an der Arbeit. Oft macht sich eine gewisse Antriebslosigkeit breit, aber mit genügender Ermunterung flackert wieder einiges auf. Dann schichtet sich bei Franz Kernbeis Farbschicht über Farbschicht, sowie auch jeder Zug an seiner Zigarette gleich vom nächsten verfolgt wird. Und bei Heinrich Reisenbauer reiht sich Stuhl an Stuhl oder Traube an Traube, mit einer Seriosität, wie er noch eben Kaffee zubereitet hat. Die Bilder der Künstler vermischten sich immer mehr mit den Bildern, die ich dort erlebte. Erinnerungsbilder nur mehr: Der Tisch, an dem August Walla immer sitzt, in eine Zeichnung versunken, kaum ansprechbar, wie er Motive und Parolen unserer Umgebung farbig-bildstark verarbeitet, ein Künstler der Pop-Art schlechthin. Und wie er sichtlich genervt nochmals und nochmals über ein Blatt hergeht, wenn es den Ansprüchen noch nicht genügt. Es kommt nicht von ungefähr, daß Mensch Ärgere dich nicht sein liebstes Spiel ist. An einem anderen Tisch im selben Raum Johann Fischer, jeden Vormittag fleißig über sein Blatt gebeugt, nur einmal fand ich ihn schlafend über einer entstehenden Zeichnung vor, den Kopf mitten im Textbild, noch ermüdet von der Vernissage in München. Es war ein seltsames Gefühl, die Schritte vom Haus der Künstler zur Bushaltestelle. Der ganz gewöhnliche Weg, der plötzlich endgültig ist. und wo auch immer ich hinschaute, blickte ich doch nur zurück. Zurück in den winterlichen Garten, plötzlich von Sonne überflutet, Grillplausch unter den schattigen Bäumen an meinem zweiten Tag in Gugging, alle versammelt und doch jeder in seiner eigenen Welt, die Ruhe, nur vom auf und ab der Tennisbälle und dem Zirpen der Grillen zerschnitten. Franz Kamlanders aufstrahlendes Gesicht, als ein Hund vorbeizieht, die Liebe zu Tieren in seinem konstanten Werk ohnehin verewigt, wirkte in diesem Moment noch viel berührender. Ich blicke zurück auf den blauen Stern, der in die andere Richtung weist und ich denke an all die anderen blauen Sterne, die mit einem Mal vom Hauser-Nachlass geholt wurden und sehe einen Himmel, der immer leerer wird. Denn wo bleibt der Nachwuchs? Die Zimmer für die neuen Künstlerinnen werden zwar hergerichtet, aber werden sie überhaupt gefördert werden? Wo hängen die Bilder von Josef Huber? Er lebt dort im Haus, er sieht den Erfolg der anderen rund um sich, seine Bildsprache ist verstummt, sein Gang verlangsamt, in der Galerie kein Bild von ihm. Das ist der schale Nachgeschmack, der bleibt, wo Erinnerung nicht nur Begeisterungsströme beinhaltet. Das Haus, das von seinem Ruf der immer älter werdenden Künstler zehrt, das aber zugleich von einem ganz anderen Kunstbegriff ausgehen will. Trotzdem, der blaue Stern soll weiterflackern, nein, muß weiterflackern, um den Kunsthimmel nicht zu verdunkeln. Und während ich auf den Bus warte, denke ich an die Sternschnuppe, die langsam dahinziehen würde, falls der Stern erlischt und daß ich mir die Unvergänglichkeit dieser Kunst und seiner Schöpfer wünschen würde.
20

--->