was ist ATTAC?
ATTAC Österreich
Porto Alegre & Alternativen zu Davos

 

 

Wer und was ist ATTAC und wie kam es dazu?

 

Unter dem Eindruck der — durch massive Spekulation ausgelösten — Finanzkrise in Südostasien, die weite Teile Südostasiens in eine tiefe Rezession riss und die Stabilität der Weltwirtschaft bedrohte, publizierte der Chefredakteur der in acht Sprachen erscheinenden Le Monde diplomatique, Ignacio Ramonet, im Dezember 1997 einen Aufruf zur Kontrolle der Finanzmärkte. "Warum gründen wir nicht eine weltweite Organisation, die sich für die Einhebung einer Tobinsteuer zugunsten der Menschen einsetzt?" Aus dem französischen Monsterkonstrukt ‘Association pour une Taxation des Transactions financières pour l’Aide aux Citoyens’ entstand das Kürzel ATTAC.

 

Der Hintergrund: Infolge der Freigabe der Wechselkurse, des Abbaus von Kapitalverkehrskontrollen und dem Entstehen riesiger Anleihe-, Aktien- und Derivatemärkte war die Weltwirtschaft zu einem globalen Casino geworden. Auf den Devisenmärkten sind gegenwärtig 97% aller Bewegungen spekulativ. Nur 3% der Transaktionen sind handfeste Investitionen oder decken den Handel ab. Die Folge ist zunehmende Instabilität: 1987 Börsencrash; 1992 K.o. des Pfund; 1994 Tequila-Krise; 1997 Flächenbrand in Südosasien; Die Krise von Russland im Frühjahr 1998, den Zusammenbruch des "Hedge-Fund" LTCM sowie den Schock in Brasilien 1998/99 hatte Igancio Ramonet noch gar nicht eingerechnet. Sein Dreiervorschlag zur Bändigung wild gewordener Finanzmärkte: Schließung der Steueroasen; höhere Kapitalbesteuerung; Tobin-Steuer. Die Tobin-Steuer ist eine geringfügige Umsatzsteuer — ein bis fünf Promille — auf grenzüberschreitende Geldgeschäfte. Diese Steuer würde spekulative Kapitalflüsse stark reduzieren und könnte zu einer wichtigen Einnahmequelle für die globale Armutsbekämpfung werden. Bei einem Steuersatz von 0,1% und einem bereits eingerechneten Rückgang der Umsätze auf den Devisenmärkten um 50% kämen jährlich Einnahmen von 250 Milliarden Dollar zustande. Zur Bekämpfung der schlimmsten Armut und der gravierendsten Umweltschäden wären laut UNO jährlich 225 Milliarden Dollar nötig.

Zweieinhalb Jahre nach dem Aufruf in der Le Monde diplomatique ist ATTAC bereits in 30 Ländern Afrikas, Amerikas und Europas aktiv. Das französische ATTAC-Netzwerk stützt sich auf 30.000 zahlende Mitglieder und umfasst 170 Lokalgruppen. Zum Auftakt von ATTAC Schweden und ATTAC Dänemark im Jänner und Februar dieses Jahres, kamen jeweils über 1000 Menschen, alle Zeitungen titelten Schlag, der dänische Premierminister sprach sich sofort für die Einführung der Tobin-Steuer aus.

 

 

ATTAC Österreich

Die Gründung von ATTAC Österreich wurde von 50 Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen (Wissenschaft, Gewerkschaft, Umweltbewegung, Kirche, Jugend) vorbereitet. Zur Auftaktveranstaltung am 6. November 2000 im Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste alias "Semper-Depot" (Wien) kamen über 300 Personen. Auf dem Podium unterstützten Susan George (ATTAC Frankreich), Stephan Schulmeister (Wifo) und Brigitte Unger (WU Wien) wissenschaftlich und argumentativ die ProponentInnen. Die Liste der Forderungen wurde vom Publikum sehr positiv aufgenommen.

Zahlreiche Prominente und Wissenschaftler unterstützen bereits ATTAC Österreich, darunter Kurt Rothschild, Emmerich Talos, Stephan Schulmeister, Claudia von Werlhof, Brigitte Unger, Hans Sallmutter, Peter Weish, Kunibert Raffer, Eva Rossmann u.v.a.m.

Die Aktivitäten von ATTAC Österreich umfassen neben einer breit angelegten Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit mit Podiumsdiskussionen, Vorträgen, Seminaren und Publikationen auch kreative Straßenaktionen und Kulturkooperationen ("ArTTAC"-Schiene ist im Aufbau). Für großzügige Mitglieder werden "Attactien" ausgegeben. Eine KMU-Schiene ist geplant sowie ein Netzwerk von ATTAC-Gemeinden (analog zu den "Klimabündnis"-Gemeinden oder im Rahmen von LA 21-Prozessen.)

Derzeit entsteht gerade ein Österreich weites Netzwerk aus Regional- und Lokalgruppen. ATTAC will zeigen, dass es Alternativen gibt und sich aktiv an der Gestaltung einer menschengerechten und nachhaltigen Weltwirtschaft beteiligen.

Postanschrift: ATTAC Österreich, Berggasse 7, 1090 Wien

Telefon: 0664 — 15 10 243
In Porto Alegre, dem Gegengipfel zu Davos, wurde die Regulierung der globalen Finanzmärkte diskutiert. Ein Vorschlag: Devisengeschäfte sollen besteuert werden
Wer sich vor drei Jahren als Befürworter einer Besteuerung von Devisentransaktionen outete, stieß auf ähnlich mitleidiges Lächeln wie jene, die in den Achtzigerjahren für eine Ökosteuer eintraten. Seither gab es jedoch Finanzcrashs in Südostasien und Brasilien sowie eine Beinahe-pleite beim milliardenschweren Spekulationsfonds LTCM. Aktuell erleben wir auch die Entzauberung der "New Economy", die sich nun doch als ganz ordinärer Kapitalismus erweist. Von den Versprechungen der Globalisierung in ihrer neoliberalen Variante bleibt nicht viel übrig.

Alle einschlägigen Statistiken zeigen: Diese Globalisierung produziert sehr viele Verlierer und wenige Gewinner. Der Markt kann eben doch nicht alles besser, und die Einsicht, dass es ohne internationale Regulierung nicht geht, gewinnt an Boden. Selbst im finanzpolitischen Mainstream setzt sich die Erkenntnis durch, dass für die Finanzmärkte, die den ökonomischen Kern der Globalisierung ausmachen, eine "neue internationale Finanzarchitektur" erforderlich ist - auch wenn daraus bisher kaum praktische Konsequenzen gezogen werden.

In Rahmen dieser Diskussion gewinnt ein Vorschlag von James Tobin aus dem Jahre 1972 immer mehr Sympathien. Der Nobelpreisträger hatte angeregt, alle Devisentransaktionen mit einer geringen Steuer zu belegen. Tobin geht davon aus, dass kurzfristige Anlagen eine destabilisierende Wirkung auf die Finanzmärkte haben und dort permanente Kursschwankungen verursachen. Von den 1,5 Billionen Dollar, die pro Börsentag zwischen den Finanzzentren hin- und hergeschoben werden, sind 80 Prozent solche kurzfristige Anlagen mit einer Laufzeit von weniger als zwei Monaten, häufig sogar nur von Stunden. Die Anleger versuchen dabei, geringste Kursunterschiede bei Devisen, Aktien und Wertpapieren auszunutzen, oder sie spekulieren auf zukünftige Kursunterschiede. Wenn der Wechselkurs zwischen Dollar und Yen in Hongkong nur für ein paar Stunden eine Differenz von 1 Prozent zur Tokio ausmacht, kann man mit 100 Millionen per Mausclick eine Million Gewinn machen.

Realwirtschaftlich haben diese Transaktionen keine Funktion. Die Bildung der Wechselkurse ist zu einem selbst referenziellen System geworden, das - anders als es die liberale Schulbuchweisheit verkündet - keineswegs die volkswirtschaftlichen Basisdaten widerspiegelt. Vielmehr reflektieren Wechselkurse lediglich die Erwartungshaltungen von Anlegern und Spekulanten. Ein gutes Beispiel ist der Euro-Kurs, von dem - bei allem Respekt vor der US-Wirtschaft - niemand behaupten dürfte, er reflektiere ein wirtschaftliches Absacken der Europäischen Union um ein Drittel innerhalb eines Jahres.

Würden Devisentransaktionen bei jedem Grenzübertritt mit nur 0,5 Prozent besteuert, so würde ein Großteil dieser kurzfristigen Geschäfte unrentabel. Handelsgeschäfte und langfristige Investitionen dagegen würde eine solche Steuer so gut wie nicht belasten. Im Gegenteil, sie könnten von den stabileren Rahmenbedingungen profitieren und auf kostenträchtige Absicherungsmaßnahmen verzichten. Das würde zu einer Entschleunigung und Mengenreduktion auf den Finanzmärkten führen - und damit zu mehr Stabilität. Die technische Umsetzung der "Tobin Tax" wäre dank Computertechnologie so einfach wie das Abbuchen der Bankgebühren von Otto Normalverbrauchers Girokonto. Erhoben werden könnte die Steuer über die Zahlungsausgleichssystem der Zentralbanken oder, international, über das elektronische Zahlungssystem S.W.I.F.T.

Für die Tobin-Steuer hat sich seit 1972 unter anderem ein Vizedirektor der Weltbank ausgesprochen. Die Parlamente Kanadas und Belgiens haben Empfehlungen zugunsten einer solchen Abgabe verabschiedet, die UNO gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Die NGO-Szene und globalisierungskritische Bewegungen sind ohnehin dafür. Ihre Begründung: Die Tobin-Steuer wirkt auf die Weltwirtschaft wie Sand im Getriebe, ohne das Getriebe zum Stillstand zu bringen.

Dabei ist eine Devisenbesteuerung keine Allzweckwaffe. Spekulative Attacken, bei denen Profite von 10, 20 oder, wie bei der Asienkrise, von 40 bis 60 Prozent winken, sind damit nicht zu verhindern. Die Tobin-Steuer ist ein Instrument in einem Set von unterschiedlichen Instrumenten zur Regulierung der Finanzmärkte und wirkt nur gegen die "normale" Alltagsspekulation. Die Neutralisierung von Steuerparadiesen und Offshore-Zentren bleibt unumgänglich.

Für die Tobin-Steuer spricht, dass - auch wenn das Motiv vor allem ihre finanzpolitische Lenkungsfunktion ist - dabei natürlich Einnahmen entstehen. Wenn die Steuer ihre Lenkungsfunktion so weit erfolgreich erfüllt, dass der Devisenumsatz um die Hälfte zurückgeht, würden bei einem Steuersatz von 0,5 Prozent immer noch rund 90 Milliarden US-Dollar anfallen. Das ist etwa das Doppelte der Entwicklungshilfe aller Industrieländer zusammengenommen - eine Summe, mit der einiges Sinnvolles unternommen werden könnte, etwa in der Klimapolitik, für soziale Zwecke oder in der Entwicklungspolitik.

Zudem wäre die Tobin-Steuer ein Einstieg in die längst überfällige internationale Besteuerung. Es ist nicht einzusehen, dass die Global Players auf transnationale Gewinne keine entsprechenden Steuern zahlen. Die "Tobin-Tax" ist keine Massensteuer, sondern holt das Geld dort, wo es massenhaft vorhanden ist: bei den Banken, auf die der Löwenanteil der kurzfristigen Transaktionen entfällt. Damit hätte die Steuer auch eine Umverteilungsfunktion, und zwar nicht, wie in den letzten Jahren üblich, von unten nach oben - siehe Rentenreform - sondern umgekehrt, von oben nach unten.

Genau hier aber liegt auch der Grund, warum der in jeder Hinsicht vernünftige Vorschlag auf beinharte Ablehnung stößt. Die Regierungen der G 7-Staaten, vorneweg die USA, versuchen ein Tabu über die Besteuerung der Globalisierungsgewinner zu verhängen. Offenbar ist bereits eingetreten, was der Chef der Deutschen Bank vor einigen Monaten unverblümt beanspruchte: Die Finanzmärkte werden zur "fünften Gewalt" im Staat, neben Legislative, Exekutive, Justiz und Medien und diktieren den Regierungen zunehmend die "richtige" Wirtschaftspolitik.

Diese "fünfte Gewalt" ist freilich von niemandem gewählt und entbehrt jeder demokratischen Legitimität. Mit der Tobin-Steuer würde ihre etwas von ihrer Macht genommen. Deshalb ist es an der Zeit, sich gegen die Alternative einer Globalisierung von unten artikulieren. Darin liegt die Bedeutung der Proteste von Davos, des Alternativgipfels in Porto Alegre und von Bewegungen, wie dem in Frankreich überaus erfolgreichen "Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte", ATTAC. Übrigens: ATTAC gibt es jetzt auch in der Bundesrepublik. PETER WAHL
 
 

taz Nr. 6358 vom 29.1.2001, Seite 11, 235 Zeilen Kommentar PETER WAHL , taz-Debatte